6. Impuls


Die nächste kleine Scherbe - Anfangen Verantwortung zu übernehmen


Hans-Martin Samietz, 06.03.2024

Die Welt zerspringt und wir sagen Kleber sei hier besser als Kehrblech, Besen und Abfalleimer? Was für eine Vorentscheidung! Auch Regina Laudage-Kleeberg geht da so nicht mit. Es braucht die bleibenden scharfen Kanten des zersprungenen Heimatgefühles katholisch-zu-sein, es braucht die trotzig und traurig geäußerte Kritik innerhalb unserer Kirche! Das Gefühl der Entfremdung von der Institution Kirche ist für viele Kirchenmitglieder ein bekanntes Lebensgefühl. Wie aber kann der Weg hin zu einer neuen Identifikation mit dem eigenen katholisch-sein gelingen, darüber sprach Frau Laudage-Kleeberg in unserem letzten Beitrag hier auf Glutzeit.

 

Mit Scherben neu leben lernen - mir gefällt der Gedanke zunächst an die mühsamen Stunden zu denken, die vor dem Zusammenfügen des zersprungenen Gefäßes liegen. Scherben über Schereben und bei jedem Blick - rutschend auf meinen Knieen - in eine Ecke meines Zimmerbodens lugt mich mit frechem Funkeln das nächste Bruchstück an. Wie oft muss ich mich noch bücken!

Ist das nicht die verlässlichere Realität unseres Lebens, das Gefühl zu haben nicht vorwärtszukommen, sich zu verlieren im Sammeln weit verstreuter Einzelteile?

Mitten in diesem endlosen Tun bin ich es der handelt, der sich bückt, den Staub kostet, sich die Fingerkuppen aufreißt. Der Sinn dieses Tuns ergibt sich nicht aus dem großen Ganzen. Das ist nicht zu erkennen. Der Sinn dieses Tuns ist nur die nächste Bewegung, der Griff ins Dunkel. So antworte ich auf diese dürftige Lage meiner Existenz. Ich kann ihn immer noch bewegen, meine Finger, immer noch den Ellenbogen beugen. Ich bin es der am Leben ist und am Leben bleibt.

Du kennst auch solche Momente, nicht wahr? Versuche dir einen solchen Moment aus deiner Erfahrung jetzt vorzustellen …

Was war die eine kleine Bewegung, die dir in diesem Moment möglich war?

Wie spürst du dich heute in der Antwort, die du damals gegeben? …

Anfangen Verantwortung zu übernehmen inmitten einer dunkel gewordenen Welt, das nenne ich am Leben sein. Und du darfst dir darin sehr unsicher sein, inwieweit deine kleine Tat einen Effekt auf das große Ganzen hat. Das ist allzu menschlich!

Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“ oder „Man entdeckt das Absurde nicht, ohne in die Versuchung zu geraten, irgendein Handbuch des Glücks zu schreiben“, notiert der algerische Dichter und Philosoph Albert Camus 1942 unter den letzten Sätzen in seinem Frühwerk der „Mythos des Sisyphos“. - Der kleine mühsame Schritt enthält möglicherweise tieferes Menschsein als der Blick aufs große Ganze, so die Einsicht dieses großen Denkers und Dichters. Es lohnt sich bisweilen das Verrinnen der Stunden, Tage, Monate und möglicherweise Jahre auszuhalten und zunächst nur die nächste kleine Scherbe ergreifen zu wollen.